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Warum Rechte den "Parteienstaat" bekämpfen

Die Neue Rechte hält Parteien für elitäre Organisationen mit Tendenz zur Oligarchie – liegt sie mit ihrer Parteienkritik falsch?

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Nils Schniederjann
Okt. 22, 2025
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In den vergangenen Monaten haben Sebastian und ich zig Gespräche mit den entscheidenden Vordenkern des AfD-Vorfelds geführt: mit Götz Kubitschek, Karlheinz Weißmann, Erik Lehnert und weiteren Protagonisten.1 Die rechten Vordenker haben in den vergangenen Jahren enorm von den Erfolgen der AfD profitiert. Sie kamen an gut bezahlte Posten in den Fraktionen, saßen im Vorstand der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung oder konnten die Zielgruppe für ihre Bücher, Zeitschriften und Veranstaltungen enorm erweitern.

Vielen von ihnen geht es ökonomisch seit einigen Jahren sehr gut dank des AfD-Aufstiegs. Dennoch hört man von ihnen allen vor allem Kritik an der AfD. So erklärte Götz Kubitschek bei der letzten Sommerakademie in Schnellroda, er wolle sich in Zukunft wieder mehr auf seinen Verlag konzentrieren, denn die Strukturen der Partei „härten gerade aus“. Auch andere Funktionäre äußern sich ähnlich: Die Partei sei zu verkrustet, zu wenig fundamentalistisch, zu sehr auf bloßen Machtgewinn aus. Auf die ein oder andere Weise distanzieren sie sich alle von „ihrer“ AfD.

Die Kritik folgt nicht aus spontaner Enttäuschung, sondern aus der Theorie. Die lautet, dass jede Partei zwangsläufig oligarchische Strukturen entwickelt. Eine professionelle Führungsschicht verselbstständigt sich, während die Basis entmachtet wird. Das Ergebnis ist ein „Parteienstaat“, in dem nicht mehr das Volk, sondern eine abgehobene politische Kaste herrscht. Kubitscheks Klage über „aushärtende Strukturen“ ist nichts anderes als die Anwendung dieser Theorie auf die eigene Partei.

Die intellektuelle Grundlage dafür lieferte vor über hundert Jahren der Soziologe Robert Michels.

Das „eherne Gesetz der Oligarchie“

Als Michels 1911 sein „ehernes Gesetz“ formuliert, ist er selbst noch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der damals weltweit größten Partei. In seinem Buch Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie analysiert er die Organisationsstrukturen seiner eigenen Partei und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Jede Organisation, selbst die demokratischste, entwickle zwangsläufig oligarchische Strukturen.

Die Mechanik dahinter ist laut Michels fast naturgesetzlich. Zunächst entstehen in Organisationen aus ganz praktischen Gründen Spezialisierungen: Nicht jedes Parteimitglied kann sich um alles kümmern, also bilden sich Funktionsträger heraus. Diese entwickeln mit der Zeit eine spezifische Expertise, die sie unentbehrlich macht.

Man denke etwa an die Haushaltspolitiker in den Fraktionen. Wer jahrelang Etatentwürfe verhandelt, lernt die verschlungenen Pfade des Haushaltsrechts, kennt jeden Posten, jeden Verhandlungstrick, jede verfassungsrechtliche Grenze. Ein Wolfgang Schäuble etwa machte sich über Jahrzehnte durch sein enzyklopädisches Wissen über Verfassungsdetails und Parlamentsregeln faktisch unersetzbar.

Während mit der Zeit die psychologische und existenzielle Bindung der Funktionsträger an ihre Position wächst, verliert die Basis laut Michels nach und nach ihr Interesse an den Details der Organisationsführung. Politisches Engagement kostet Zeit und Energie, man ist froh einen Teil der Arbeit an eine Funktionärskaste abzugeben. So entsteht eine Kluft zwischen einer professionellen Führungsschicht und einer passiven Mitgliederbasis.

Am Ende entsteht eine unglückliche Situation: Die „Oligarchen“ an der Spitze rechtfertigen ihre Macht mit ihrer (zum Teil sogar realen) Unentbehrlichkeit. Michels Fazit:

„Es ist ein unabänderliches Sozialgesetz, daß in jedem durch Arbeitsteilung entstandenen Organ […] ein Interesse an sich selbst und für sich selbst entsteht. Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden. Wer Organisation sagt, sagt Oligarchie.“2

Ganz falsch liegt er damit nicht.

Klingbeils SPD: Real existierende Oligarchisierung

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