Macht Kollegah jetzt AfD-Songs?
Mit „Deutschland“ liefert Felix Blume, ehemals Kollegah, jetzt den Soundtrack für die AfD. Rechte feiern das als Sieg im Kampf um die kulturelle Hegemonie – aber dafür ist das einfach zu schlecht
„Hallo, Deutschland, ich wollt’ dir was sagen“, beginnt der Rapper Kollegah, der inzwischen unter seinem bürgerlichen Namen Felix Blume auftritt, seinen neuen Song Deutschland. „Lange her sind die goldenen Tage“, rappt er da, „Politiker am Lügen und das Volk ist am Schlafen“. Oder auch „Deutschland, sehr verehrte Damen und Herren / Ich sag‘ es nicht gern, doch die Lage ist ernst.“
Bei der staatstragenden Ansprache bleibt es aber nicht. Der Rapper hat auch den sentimentalen Nationalismus des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt. Der Refrain besteht aus Ausschnitten aus Heinrich Heines „Nachtgedanken“, die Blume in sanftem, leicht schrägem Singsang vorträgt:
„Denk’ ich an Deutschland in der Nacht /
Dann bin ich um den Schlaf gebracht /
Ich kann nicht mehr die Augen schließen /
Und meine heißen Tränen fließen /
Deutschland hat ewigen Bestand /
Es ist ein kerngesundes Land /
Mit seinen Eichen, seinen Linden /
werde ich es immer wiederfinden.“
Die Zeilen, die Heine anschließt, lässt der Rapper freilich weg: „Nach Deutschland lechzt’ ich nicht so sehr / Wenn nicht die Mutter dorten wär“. Stattdessen bleibt es bei der Anrufung einer potenziellen deutschen Größe, die aber leider aufgrund inkompetenter und korrupter Politiker nicht in voller Blüte erstrahlen kann. Das Musikvideo zeigt Bilder von Felix Blume auf einem Berg, im Stile Caspar David. Der deutschrappende Wanderer über dem Nebelmeer wird unterschnitten mit Bildern von Gewalttaten, dem Deutschen Bundestag und einem Adler.
Dieser Ressentiment-Pop fürs TikTok-Zeitalter versetzt Medienaktivisten und Politiker rechtsaußen in völlige Verzückung. NIUS-Journalist Jan A. Karon hält ihn für einen „Beleg für den realen Vibeshift und die Verschiebung der gängigen Meinung“, der ehemalige Werteunion-Sprecher Ralf Höcker: „Es tut sich was im Land. Die Veränderung wird jedoch nicht von oben kommen.“ Benedikt Kaiser kommentierte nur: „Der Hegemonie entgegen“, und auch Maximilian Krah feierte: „Die Wende kommt nicht aus den subventionierten Theatern, den Universitäten oder dem Staatsfunk, sondern aus Rap, Internet und von der Straße.“
Auf den ersten Blick ist das alles kaum verwunderlich. Mit Kollegah veröffentlicht einer der erfolgreichsten Deutschrapper einen Song, der ohne jede Veränderung als AfD-Hymne durchgehen könnte. Natürlich freuen sich da die üblichen Verdächtigen.
Andererseits ist es aber doch kurios, denn so war das ja alles nicht gedacht. Das Konzept der Metapolitik bedeutete immer, dass die Denker, die Künstler vorangehen sollen. Dass zuerst die Ideen und die kulturelle Wende kommen und erst im zweiten Schritt die Politik folgen würde. „Metapolitik ist der Kampf um geistige und kulturelle Hegemonie. Der darauffolgende Kampf um die Macht im Staat und in dessen Apparaten ist Realpolitik“, schreibt Benedikt Kaiser in seinem neuen Buch Der Hegemonie entgegen, das Sebastian und ich in unserer Kaderschmiede gerade seziert haben. Das heißt: Zuerst sollten die Ideen und die kulturelle Wende kommen, erst im zweiten Schritt sollte die Politik folgen.
Jetzt ist es aber genau andersherum: Nicht die Metapolitik verkörpert hier die Avantgarde, sondern abgehalfterte Künstler, Glücksritter und andere Grifter springen auf den politischen Zug auf, um auch vom politischen Erfolg einer seit nunmehr mehr als zehn Jahre existierenden rechten Partei zu profitieren. Was politisch längst etabliert ist, plappert auch die Kultur nach.
Und so verwurstet ein Rapper, der seinen Zenit schon längst hinter sich hat, mit ein paar Jahren Verzug nochmal die abgegrabbelten Ressentiments, die zumindest in den USA schon längst von neuen abgelöst wurden. Seine „Deutschland“-Hymne klingt darum eher wie eine Kompilation aus den schönsten Nachrichten von Telegram-Kanälen aus 2021:
„Heute fällt uns schwer, die Kinder draußen spielen zu lassen /
Aus Angst, dass irgendwelche Pädophile sie packen /
Vor dem Spielplatz wartet ein schwarzer Lieferwagen /
Und der Rentner wird beraubt in der Tiefgarage.“
Auf dreizehn Studioalben hatte Blume – noch unter dem Künstlernamen Kollegah – davon erzählt, wie er als Drogendealer durch Europa jettet und Millionen als gnadenloser Schwerverbrecher verdient. Die Fantasie von Gewalt und Kriminalität waren das Fundament seiner künstlerischen Karriere. Jetzt hingegen sorgt er sich darum, dass Rentner in Tiefgaragen ausgeraubt werden.
Selbst wenn man den Rechten nun darin folgt, dass das, was wir auf diesem Track hören, tatsächlich Metapolitik ist, darf man daran zweifeln, ob es auch ein metapolitischer Sieg ist, wenn ein Rapper, der in der Vergangenheit schon über Zeilen gestolpert ist, die Holocaustopfer verhöhnen, jetzt über billigsten Fruity-Loops-Beats nachplappert, was er auf NIUS und Telegram den ganzen Tag vorgesetzt bekommt. Wer trotzdem darum bangt, ob das nicht die Jugend beeinflusst, der muss sich den Song einfach mal anhören (ab 46:20):
Auch wenn Felix Blume sich als deutscher Kanye West versteht – ein anderer Song mit dem Titel „So wie Kanye“ behandelt genau das –, muss man doch festhalten, dass das noch so viel banaler, dümmer und pathetischer ist, dass es anders als bei Kanye nicht mal den Anschein einer Debatte geben kann, ob das Kunst oder einfach Propaganda ist. Angesichts der billigsten Konventionalität, die Blume hier vorlegt, muss man sagen: Wenn das ein metapolitischer Erfolg der Rechten ist, dann kann man ihnen diesen Sieg gern überlassen.



Sehr treffender Text! Danke!
Bin Kulturbanause. Habe keine Ahnung was "Fruity-Loops-Beats" sind. Kanye West kenne ich nicht. Kann auch nicht beurteilen, ob ein Song künstlerisch wertvoll ist. Lesen kann ich allerdings:
Ein Kommentar unter dem Song auf youtube lautet: "Aus der Seele gesungen".
Und damit sind wir beim Kern des Problems (und auch dieses Blogs): Die AfD ist in wesentlichen Politikfeldern keine kritische Stimme, sondern Vorkämpfer für das Mantra der Neoliberalen: "Privatisierung, Deregulierung und Steuersenkung". Dazu noch völkisch angehaucht - mindestens.
Vielen Menschen ist das egal. Manche wissen es nicht. Sie sehen nur: Alle gegen die AfD. Und diese ALLE sind dafür diese Sachverhalte verantwortlich:
Es gibt dramatischen Probleme in Deutschland. In der Ökonomie, im Gesundheitswesen, bei der Einkommensverteilung, bei der Altenpflege, auf dem Wohnungsmarkt, bei der inneren Sicherheit, bei der Energieversorgung, beim Umweltschutz, bei der Infrastruktur (Straßenbau, Brückenbau, Stromtrassen, Bahnverkehr etc.). Viele Menschen haben schlicht und einfach den Eindruck, dass das etablierte Regierungssystem die bestehenden Probleme mehr verschleiert als löst. Und zudem danach strebt, die Bundesrepublik Deutschland mit aller Gewalt in einen Krieg mit Russland zu zerren.
Wer die AfD stoppen will, muss bereit sein, unsere Gesellschaft zumindest realistisch zu beschreiben und zu sagen "Was ist" (Rosa Luxemburg, Rudolf Augstein). Bereits an der Beschreibung der Wirklichkeit scheitern die derzeitigen wirkmächtigen politischen Akteure in Politik, Wirtschaft und Medien. Von Problemösungen will ich noch gar nicht reden. Dieser Blog ist leider keine Ausnahme. Schade.