Vier Sackgassen: Das Dilemma der Union
Für die CDU gibt es mehrere Möglichkeiten, um mit der AfD umzugehen. Doch langfristig wird keine davon funktionieren
Stellen wir uns vor, die Union fahre seit einiger Zeit in einem Kreisverkehr mit vier Ausfahrten. Als sie losfährt, ist der Tank voll und auf den Straßen nicht viel los. Sie fährt also Runde um Runde an den Ausfahrten vorbei und begutachtet sie interessiert. Doch nach und nach leert sich der Tank; sie weiß, dass sie sich entscheiden muss. Was sie nicht weiß: Unabhängig davon, welche Ausfahrt sie nimmt, führen sie alle am Ende in Sackgassen. Schauen wir uns die vier Optionen also einmal genauer an.
Verlust der Mitte durch Rechtskurs
Beginnen wir mit der ersten Ausfahrt. Sie führt zu einer allmählichen inhaltlichen Annäherung an die AfD. Nimmt sie diese Ausfahrt, landet sie am Ende bei der „Wiedervereinigung des bürgerlichen Lagers“, wie sie sich Julian Reichelt jüngst bei NIUS gewünscht hat. Es geht also um ein Ende der Brandmauer, perspektivisch um eine Zusammenarbeit, langfristig sogar um eine Koalition von Union und AfD.
Eine solche Koalition fordert derzeit niemand innerhalb der Union offen. Doch es gibt zunehmend Funktionäre, die öffentlich erklären, man solle die Brandmauer möglichst bald einreißen. Einige plädieren dafür, AfD-Anträgen zuzustimmen, sofern sie als inhaltlich richtig gelten; Vordenker wie Andreas Rödder oder der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber denken laut über eine von der Union geführte Minderheitsregierung nach, die entweder mit wechselnden Mehrheiten regiert oder sogar explizit von der AfD toleriert wird. Die Motive variieren: Die einen sehen zwischen Union und AfD mehr inhaltliche Schnittmengen als zwischen Union und den übrigen Parteien; andere sehen die Union durch die Brandmauer in einer strategischen Zwangslage, da sich ohne FDP mögliche Koalitionspartner nur noch links von ihr befinden.
Doch die Union würde dadurch gerade nicht mehr Spielraum bekommen, sondern sich dauerhaft auf einen Kurs rechts der Mitte festlegen müssen. Denn dass SPD oder Grüne bereitstehen, gelegentlich ein Gesetz mitzutragen, wenn sie weiß, dass die CDU am nächsten Tag mit der AfD ein anderes Gesetz durchdrückt, ist kaum vorstellbar. Durch diesen offensiven Mitte-Rechts würde sie aber vermutlich deutlich an Zustimmung verlieren. Eine Infratest-Dimap-Umfrage ergab vor wenigen Tagen, dass lediglich zehn Prozent der Unionsanhänger eine Zusammenarbeit mit der AfD befürworten. 46 Prozent halten es noch für vertretbar, von Fall zu Fall zu entscheiden. Aber 41 Prozent sprechen sich dafür aus, eine Zusammenarbeit grundsätzlich auszuschließen. Davon würden sich viele bei der nächsten Wahl zweimal überlegen, ob sie ihr Kreuz noch bei CDU oder CSU setzen.
Und nicht nur innerhalb der Wählerschaft würden der Union erhebliche Verwerfungen drohen. Sollte die Union die Ausfahrt in Richtung Kooperation nehmen, würden wohl zahlreiche liberale und christlich-soziale Mitglieder und Funktionäre, die seit Jahren die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung von der AfD betonen, die Partei verlassen.
Formale Abgrenzung bei gleichzeitiger inhaltlicher Zustimmung stärkt die AfD
Mit der zweiten Ausfahrt geht es zwar nicht in Richtung Kooperation, aber dahin, dass sich die Union in bestimmten Politikfeldern deutlicher konservativ positioniert, um die rechte Konkurrenz zu schwächen. Es ist der Weg, den Friedrich Merz bisher bevorzugt. Einerseits schließt er eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch aus. Das bekräftigt er auch regelmäßig, wenn Parteifreunde die Brandmauer-Debatte im Wochentakt neu entfachen. Andererseits fällt er seit Jahren durch zugespitzte Wortmeldungen auf, insbesondere wenn es um Migration geht. Das zeigte sich bereits vor seiner Wahl zum Parteivorsitz, als er mit Blick auf migrantische Jugendliche in Neukölln von „kleinen Paschas“ sprach oder ukrainischen Kriegsflüchtlingen „Sozialtourismus“ unterstellte, wofür er sich später entschuldigte. Zuletzt sorgte er erneut für Aufsehen, als er beiläufig das Stadtbild problematisierte und andeutete, „dieses Problem“ könne durch Abschiebungen gelöst werden.
Ob es sich bei diesen Aussagen um bewusste Versuche, der AfD rhetorisch das Wasser abzugraben, oder vielmehr um ungeplante Entgleisungen handelt, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Programmatisch hat sich die Union unter Merz bei den Themen Migration und Sicherheit aber auf die AfD zubewegt. Auch die gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD im Bundestag Ende Januar zeugen davon. Die AfD versuchte das propagandistisch für sich zu nutzen und warf der Union – nicht ganz zu Unrecht – vor, sie würde AfD-Inhalte kopieren.
Dieser Zickzack-Kurs der Union wurde vielfach kritisiert: Wer der AfD inhaltlich zustimmt, ihr aber jede Zusammenarbeit verweigert, vermittelt, dass sie im Grunde recht habe, man aber die Macht nicht teilen wolle. Zudem bedient die Union damit immer wieder dieselbe Konfliktachse – die zwischen innen und außen –, von der insbesondere die AfD profitiert.
Vor diesem Hintergrund ist es kaum überraschend, dass die AfD gerade unter Merz stärker wurde. Als er CDU-Vorsitzender wurde, lag die AfD in Umfragen bei etwas über zehn Prozent. Inzwischen hat sie ihre Zustimmung mehr als verdoppelt. Das ist sicher nicht allein auf seinen Kurs zurückzuführen, geschadet hat er der AfD jedoch sicherlich nicht.
Wer meint, die AfD entzaubern zu können, sollte nach Österreich schauen
In den vergangenen Wochen ist die dritte Ausfahrt wiederum stärker in den Fokus gerückt: die Brandmauer einreißen, ohne programmatisch nach rechts zu rücken. Die Union bliebe programmatisch unverändert, nähme die AfD aber in die Verantwortung. Die Beteiligung an der Macht soll sie dann entzaubern, die AfD also durch Umklammerung und Einbindung geschwächt werden. In diese Richtung argumentiert etwa Peter Tauber, der innerhalb der Union dem eher liberalen Lager zuzurechnen ist.
In eine ähnliche Richtung argumentierten zuletzt aber auch namhafte Intellektuelle außerhalb der Union. Der Politikwissenschaftler Philip Manow sprach im Stern von einem „Verhängniszusammenhang, aus dem die Rechtspopulisten ihren Honig saugen“. Sein Argument: Durch die Brandmauer laufe die Union Gefahr, ihre eigenen Inhalte zu verleugnen, während die AfD keine Verantwortung übernehmen müsse und „vor dem tiefen Grau der Verhältnisse immer heller zu strahlen“ beginne. FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube forderte darauf aufbauend, man müsse die AfD in Kompromisse hineinziehen. Claudius Seidl schrieb in der SZ, man solle die AfD mit der Realität von Regierungsarbeit konfrontieren, um die „Leerheit der Versprechen“ offenzulegen.
Das sind nicht die Überlegungen überzeugter Rechter, die wie NIUS eine „Wiedervereinigung des bürgerlichen Lagers“ anstreben, sondern die Hoffnungen jener, die glauben, die AfD könne an Zustimmung verlieren, wenn sie Verantwortung übernehmen müsste.
Ob dieser Weg erfolgreich wäre, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn er wurde in Deutschland bislang nicht getestet. Ein Blick nach Europa lohnt jedoch. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat jüngst das Verhältnis von Mitte/Rechts- zu Rechtsaußen-Parteien in Europa untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass die Strategie der Entzauberung langfristig nicht wirkt. In Finnland etwa habe sich der Versuch, eine rechtspopulistische Partei durch Einbindung zu zähmen, als Wunschvorstellung erwiesen. Auch in Österreich zeigt sich ein ähnliches Bild: Dort führte die „Entzauberung durch Einbindung“ zwar kurzfristig zu negativen Effekten für Rechtsaußen, langfristig hat es ihnen jedoch nicht geschadet. Im Gegenteil: Die FPÖ steht in den Umfragen so stark da wie nie.
Die linke Ausfahrt: Die alte Union kommt nicht zurück
Die vierte und letzte Ausfahrt führt dahin, wo die CDU herkam: Die Union wird wieder Volkspartei Merkel’schen Typs. Sie verbindet eine klare inhaltliche Abgrenzung von der AfD mit der konsequenten Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit.
Dafür plädiert aktuell die Initiative Compass Mitte. Sie wird von Merkelianern wie Ruprecht Polenz und Roderich Kiesewetter getragen, deren Einfluss in der Partei aber aktuell gering ist. In ihrer Erklärung fordern sie, der AfD mit „zivilisierter Verachtung“ zu begegnen und politisch zu bekämpfen, und plädieren entschieden für die Beibehaltung des CDU-Parteitagsbeschlusses, der jegliche Zusammenarbeit ausschließt. Doch dabei soll es nicht bleiben: Compass Mitte fordert eine Kurskorrektur, eine stärker an der Mitte orientierte Ausrichtung, und sieht die CDU als „Volkspartei mit Integrationskraft“, die nicht auf das Konservative verengt werden dürfe. Wenn auch die sozialen und liberalen Elemente der Union erneut sichtbar würden, könne man perspektivisch wieder 40 Prozent erreichen.
Dieser Weg zurück zur Mitte scheint derzeit jedoch verschlossen. Die CDU unter Merz hat sich rhetorisch und inhaltlich deutlich von der stimmenmäßig erfolgreichen Merkel-Ära distanziert. Ein erneuter Richtungswechsel „zurück“ dürfte sowohl in der Partei als auch bei Teilen der Anhängerschaft schwer vermittelbar sein. Zudem erscheint ein Erfolg dieser Rückstrategie aus einem weiteren Grund unwahrscheinlich: In Mehrparteiensystemen lassen sich kaum noch Parteien finden, die 40 Prozent oder mehr erreichen. Das Modell zweier großer Volksparteien, die breite Teile der Gesellschaft integrieren, existiert so nicht mehr und wird sich wohl nicht wiederherstellen lassen.
Hinzu kommt: Für die Union hat sich im Vergleich zu den Jahrzehnten unter Adenauer, Kohl und Merkel Entscheidendes verändert. Rechts von ihr hat sich mit der AfD eine dauerhafte Alternative etabliert. Denn auch wenn die Rechtsabbieger in und um die Union dies gerne ignorieren, hat die Union seit den 1960er-Jahren auf Länder- wie Bundesebene fast ausschließlich Mehrheiten mit Parteien gefunden, die links von ihr standen – meist mit der FDP, manchmal mit SPD oder Grünen. Rechts von ihr gab es niemanden, der mittel- oder langfristig ein Koalitionspartner hätte sein können. Wahlstrategisch konnte die Union so die pragmatischen Rechten tatsächlich an sich binden. Diese Option entfällt mit einer etablierten AfD. Die Union befindet sich damit in der Zange: Auf der einen Seite Druck von rechts, auf der anderen von mehreren Parteien, die den Anspruch erheben, die Mitte zu repräsentieren.
Vier Wege – vier Sackgassen
Die Union steht vor der Herausforderung, dass keiner der vier Ausfahrten erfolgversprechend erscheint. Spricht man dieser Tage mit Politikwissenschaftlern, -beratern oder Mitgliedern der Partei, hört man immer wieder dasselbe: Die Union steckt in einem Dilemma. Welchen Weg sie auch wählt, sie wird wohl früher oder später verlieren – an Mitgliedern, an Zustimmung, an Profil, in die eine wie in die andere Richtung. Doch im Kreis fahren kann sie nicht mehr lange. Irgendwann ist der Tank leer.



Der 4. Weg muss nicht unbedingt in die Sackgasse führen. Durch Hinorientierung in die Mitte könnte die CDU faktisch große Teile der SPD gewinnen. Mit der CSU - allerdings in ganz Deutschland am Wahlzettel- könnten sie den rechten, Konservativen Teil abdecken (Modell Strauß). Damit wären Wahlergebnisse weit über 30 % möglich. Die Grünen müssten aber wieder zur Friedenspartei werden und einen moderaten Umweltschutz vertreten (das Wort Klimaschutz lehne ich ab, da wir das Klima nicht schützen müssen, sondern die Menschen und die Natur.) Damit könnten viele Bürger gewonnen werden. Und so hätte man, gemeinsam mit der Linken eine vernünftige Regierungsmehrheit. Das würde es natürlich von den Parteien erfordern über einige Stöckchen zu springen.
Wäre ich Politikberater würde ich der Union folgende Strategie nahelegen: Man konfrontiert die AfD und deren Anhänger bei jeder Gelegenheit mit ihrer Wirkungslosigkeit. Die Botschaft: Wer konservative Politik möchte, muss die Union wählen, denn die AfD reißt zwar groß den Schnabel auf, wird aber nichts davon durchsetzen können, weil sie in ihren Reihen Radikale duldet, die wir um jeden Preis von der Macht fernhalten werden. Gleichzeitig versucht man die AfD zu spalten, indem man den Moderaten signalisiert, dass eine Zusammenarbeit möglich wäre, wenn die Radikalen wirkungsvoll ausgeschlossen werden.
Zusältzlich müsste man selbst natürlich überzeugende, handwerklich gute und charismatisch verkaufte Politik machen. Aber daran scheitert es leider aktuell schon.