Über Rechts

Über Rechts

Wo Boomer sich radikalisieren

Die Buchmesse Seitenwechsel war für die Veranstalter ein voller Erfolg. Vor Ort konnte ich erleben, wie Menschen auf ein radikales Projekt eingestimmt werden

Avatar von Nils Schniederjann
Nils Schniederjann
Nov. 12, 2025
∙ Bezahlt

Die Frau vor mir trägt eine dunkle Jacke, die Kapuze hat sie über die kurzen roten Haare gezogen. Sie dürfte Ende 50 sein, spricht mit sächsischem Akzent und gehört zu den etwa hundertfünfzig Besucherinnen und Besuchern, die gemächlich von der S-Bahn zur Messe trotten. Sie zählt wahrscheinlich wie viele von ihnen zu den sich langsam radikalisierenden Boomern, die Wahlforscher inzwischen als Stammwählerschaft der AfD bezeichnen. Die Sammlungspartei vereint von rechtsliberalen über nationalkonservative bis zu dezidiert extrem rechten Milieus alles unter einem Dach; es ist ein Projekt, das diese Republik auch ohne Regierungsverantwortung verändert hat, von dem man aber bis heute nicht ganz weiß, was es im Kern eigentlich will. Weiß es die Frau vor mir? Sucht sie hier in Halle vielleicht selbst nach Orientierung?

Während wir in Richtung Messehalle gehen, taucht von weitem ein schwarzer BMW 7er auf. Er rollt heran und hält kurz vor unserer kleinen Reisegruppe an einem Tor. Die Menschen vor mir laufen alle vor dem Wagen vorbei, doch als ich gerade vor ihn treten will, macht die dicke Limousine einen kurzen Satz nach vorn. Ich bleibe gerade rechtzeitig stehen, doch die Stoßstange des blankgeputzten Wagens trifft die Frau mit den roten Haaren vor mir direkt am rechten Oberschenkel. Verletzt ist sie nicht, aber sichtlich irritiert darüber, hier einfach angefahren zu werden. „Ey, spinnst du?”, ruft sie und reibt sich den Oberschenkel.

Das Seitenfenster surrt herunter. Dahinter sitzt eines der bekanntesten Gesichter der rechten Medienwelt: Ralf Schuler, Moderator bei NIUS, dem Sender von Julian Reichelt. Etwas ungläubig blickt er der Frau in die Augen, ringt sich dann ein knappes „Sorry!” ab. Er scheint nicht unglücklich darüber, dass die Gastgeberin der Messe die etwas brenzlige Szene unterbricht. Susanne Dagen stürmt auf Schuler zu und begrüßt ihn herzlich.

„Haben Sie die Antifa gesehen?”

Dagen, Buchhändlerin aus Dresden, hat die Messe initiiert, weil sie und viele andere rechtskonservative bis -radikale Verlage sich auf den großen Buchmessen ausgeschlossen fühlten. Jetzt kommt auch die Security auf den Wagen zu und hält die Gruppe zurück. Dagen und Schuler passieren die Warteschlange und verschwinden hinter dem Tor auf einen gesicherten Parkplatz vor der Halle.

Verdutzt bleibt die Frau mit den kurzen roten Haaren zurück. Sie schüttelt den Kopf und flucht leise vor sich hin. Ein AfD-Landtagsabgeordneter im schwarzen Polyester-Wollmantel schaltet sich ein, offenbar bemüht, die Situation in Wohlgefallen aufzulösen. Er bietet einen pragmatischen Erklärungsansatz. „Wissen Sie”, sagt er zur angefahrenen Frau, „diese modernen Autos mit all ihren Sensoren, da verlässt man sich als Fahrer gar nicht mehr auf die eigene Aufmerksamkeit.”

Die Frau schaut ihn an, unsicher, ob das nun eine Entschuldigung oder Anklage sein soll. Die Stimmung ist noch immer etwas angespannt, da greift der Begleiter der Frau, Typ pensionierter Studienrat, ein und versucht das Thema zu wechseln: „Haben Sie die Antifa gesehen? Da vorn waren welche.” Der AfD-Mann nickt wissend. „Ich habe letztens ein Video gesehen”, sagt der Begleiter mit geheimniskrämerischem Tonfall, „da sind die alle um Punkt 14 Uhr nach Hause gegangen. Die wurden wohl nur bis dahin bezahlt!” Diese Enthüllung über den politischen Gegner scheint den Anfahrvorfall vergessen zu machen. Während sich die Warteschlange langsam in Richtung Messehalle bewegt, ist Schulers moderner BMW jedenfalls kein Thema mehr.

Abonniere jetzt Über Rechts, um in Zukunft keinen Text von uns zu verpassen.

Wer sein Handy zückt, wird angegangen

Die Halle ist nicht besonders groß im Vergleich zu den etablierten Messen, aber doch beachtlich – um die hundert Aussteller dürften es sein. Das liegt auch daran, dass die Standpreise hier deutlich günstiger sind. In den letzten Jahren konnten sich viele kleinere Verlage Frankfurt oder Leipzig schlicht nicht mehr leisten. Trotzdem: In Frankfurt waren es 4.350 Aussteller, in Leipzig mehr als 2.000.

Am Ende der Halle steht eine Bühne, auf der Susanne Dagen gerade die Eröffnungsworte spricht. Sie freue sich über die vielen Gäste, das alles trotz der Gegenproteste, und das alles auch noch rein privat finanziert. Dann kommt sie auf die Sicherheitsvorkehrungen zu sprechen: „Wundern Sie sich nicht, dass hier überall Security steht. Und bitte achten Sie auf das Fotografierverbot!”

Sie macht eine Pause. „Wir können nicht alles kontrollieren. Also bitte schauen Sie, was die Menschen links und rechts von Ihnen tun!” Eine für Buchmessen eher ungewöhnliche Aufforderung, aber eine, die beherzigt wird. Wer sein Handy zückt, wird sofort hart angegangen.

CDU-Boomer, wirre Verlage und dynamische Rechtsradikale

In der Hallenmitte stehen die beiden größten Stände: Compact-Magazin und Junge Freiheit. Compact bedient die radikale Szene, Junge Freiheit eher ein bürgerliches Publikum – CDU der Nachkriegsjahre, Stauffenberg-Verehrung, innerhalb der Rechten noch staatstragend. Von diesen beiden Zentren aus wird es nach links und rechts unterschiedlich: in die eine Richtung verrückter, in die andere radikaler.

Man könnte jetzt die verrücktesten Stände aufzählen: die Selbstverleger mit Titeln zum dämonischen sexuellen Missbrauch an Kindern, zur Merkel-Plandemie oder wirren Romanen über Familiengeschichten aus Oberschlesien. Aber um diese Verlage geht es nicht.

Die interessanteren, radikaleren Verlage wie Jungeuropa und Antaios stehen gleich am Eingang. Dort steht man von Anfang an Schulter an Schulter. Bei Jungeuropa, über den ich schon öfter berichtet habe, werde ich sofort erkannt und nach meiner Meinung zum neuesten Roman gefragt. Ich druckse herum. Die Wahrheit: Ich habe das Buch nach der Hälfte abgebrochen. Die seitenlangen, pseudo-faserlandartigen Beschreibungen aus dem Leben eines jungen, rechtsradikalen Alkoholikers habe ich nicht mehr ausgehalten.

Benedikt Kaiser liefert mir noch eine kurze Kritik am letzten Podcast-Auftritt von Sebastian bei Jacobin Weekly, während ein Fanboy mit Barbourjacke und Seitenscheitel nach dem anderen das Gespräch unterbricht, um sich sein Exemplar von Kaisers neuem Buch signieren zu lassen.

Sehnsucht nach den alten Grenzen Deutschlands

Am anderen Ende der Halle findet man das, was man als „Alte Rechte” bezeichnen kann: Die Deutsche Militärzeitschrift, die Magazine „Zuerst!” und „Aufgewacht! Die deutsche Stimme”, das aus der ehemaligen NPD-Parteizeitschrift hervorgegangen ist. Hier will man die neuen rechten Anhänger mit alter Ideologie beglücken: Für 10 Euro gibt es ein Poster namens „Das Diktat von Versailles“ mit den alten Grenzen Deutschlands zu kaufen, ein paar Meter weiter bekommt man eine Ausgabe des „Hausbuchs Deutsche Weihnacht“, inklusive Texten zur urgermanischen Wintersonnenwende, sowie geschichtsrevisionistische Werke über die „Verbrechen an der Wehrmacht“. Einen eigenen Stand hat auch Stefan Bauer, der aus der AfD geschmissen wurde, nachdem er in der Gedenkstätte eines Konzentrationslagers die Impfstoffe gegen Covid mit Zyklon B verglichen hat.

Ein bisschen wundert es mich, dass sie alle hier völlig unbehelligt rumstehen und ihre Werke anpreisen. Schließlich war es nur zwei Tage vor der Messe zu einem Eklat gekommen.

Seit’ an Seit’ mit Neonazis

Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen

Abonnieren Sie Über Rechts, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.

Sind Sie bereits ein Paid-Abonnent? Anmelden
© 2025 Nils Schniederjann & Sebastian Friedrich
Datenschutz ∙ Bedingungen ∙ Hinweis zur Erfassung
Starten Sie Ihre SubstackApp herunterladen
Substack ist der Ort, an dem großartige Kultur ein Zuhause findet.