Die AfD will die multipolare Weltordnung
Ist die Außenpolitik der Rechtsaußen-Partei zurzeit vielleicht weniger rückwärtsgewandt als die der anderen Parteien?
Wer heute von Multipolarität spricht, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, sich auf ein rechtes Konzept zu beziehen. Das ZDF nennt die multipolare Welt eine „gefährliche AfD-Vision“, der Correctiv-Journalist Marcus Bensmann hält ihn sogar für einen „Kampfbegriff“. Dabei stammt die geopolitische Vision einer multipolaren Weltordnung keineswegs exklusiv von der AfD. So hatte selbst Olaf Scholz den Begriff regelmäßig verwendet, um die Veränderungen der geopolitischen Situation zu beschreiben.
Im Kern bedeutet der Begriff lediglich, dass die geopolitische Ordnung von mehreren, relativ unabhängigen Staaten bestimmt wird – so, wie es im 19. Jahrhundert lange der Fall war. Diese bilden die multiplen Pole der internationalen Sicherheitsarchitektur. Anders als im Kalten Krieg gibt es nicht nur zwei konkurrierende Supermächte und anders als nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht nur eine einen dominanten Staat.
Insofern ist es zunächst einmal kein normativer, sondern ein rein beschreibender Begriff: Wo nicht alles von einem oder zwei Staaten bestimmt wird, lässt sich von einer multipolaren Welt sprechen. Seit Beginn des Ukrainekriegs tun das vermehrt politische Beobachter jeder Couleur: Mit den USA, Europa, China und Russland gibt es mindestens vier Pole, die die geopolitische Lage global bestimmen. Dazu kommen mindestens vier weitere Staaten, die über Atomwaffen verfügen: Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel.
Die multipolare Internationale
Dazu müssen sich politische Bewegungen verhalten. Auch im letzten Programm der AfD hieß es, dass sich „die Welt im Umbruch zu einer multipolaren Weltordnung“ befände. Doch nicht nur das: Die AfD begrüße diese Entwicklung, sagt der Politikwissenschaftler Jacob Ross.
„Wie andere Rechtsaußen-Parteien lehnt die Partei eine weitere EU- und NATO-Osterweiterung ab und plädiert stattdessen für ‘strategische Autonomie Europas’ als ‘eigenes Machtzentrum’ in der multipolaren Welt“, so Ross in einer bemerkenswerten Studie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die in dieser Woche veröffentlicht wurde. Sie heißt „Anatomie der Anti-Zeitenwende“ und analysiert auf gut 60 Seiten die Außenpolitik der AfD und ihrer Vordenker.
In mehreren Kapiteln trägt Ross vor, wie man rechtsaußen über den globalen Liberalismus, Europa und die EU, Russland und die USA denkt. Der Autor hält sich zwar mit Wertungen zurück, doch das Dokument liefert eine saubere Quellenrecherche, mit der man weiterarbeiten kann. Besonders interessant ist das letzte Kapitel, in dem es um die multipolare Weltordnung geht. Denn hier wird besonders deutlich, was der Studienautor meint, wenn er zu Beginn schreibt, „dass die AfD vielfach nicht mehr gegen internationale Trends ankämpft, sondern sich im Gegenteil oft einreiht“. Entsprechend lautet der Untertitel des Kapitels auch: Wo die AfD sich fortschrittlich gibt.
Nationalisten ohne Nationalstaat
Tatsächlich fügt sich das Konzept der Multipolarität nicht nur in die konkreten außenpolitischen Vorstellungen der AfD, sondern auch in die der Neuen Rechten. Denn dass Europa bald wieder zum globalen Hegemonen werden könnte, ist schon länger ausgeschlossen. Selbst Carl Schmitt sah dafür am Ende seines Lebens keine Grundlage mehr und schrieb 1962: „Die Epoche der Nationalstaatlichkeit ist vorbei“. Darüber, so Schmitt, „gibt es kein Wort mehr zu verlieren.“
Als deutscher Nationalist kann man sich also mehr Eigenständigkeit vor allem dann erhoffen, wenn die USA als globaler Hegemon zurücktreten – wenn es also eine Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Polen gibt. Dass das auch bedeuten würde, dass es niemanden mehr gibt, der global universell gültige Menschenrechte vertritt, ist das Hauptargument, weshalb Correctiv-Chef Bensmann die multipolare Weltordnung für so gefährlich hält. Wenn etwa die Taliban die Homosexualität ablehnen, dann sei das gerechtfertigt und der Westen habe kein Recht, sich dort einzumischen: „Wie Indien regiert wird, entscheiden die Inder, in Brasilien die Brasilianer, in Afrika die Afrikaner etc.“, schrieb Maximilian Krah vor zwei Jahren. Der Neuen Rechten geht es also tatsächlich darum, dass sich der Staat von der Idee des Universalismus lösen soll.
Aber verteidigt die AfD das Konzept wirklich, weil man dort, „wo es keine Menschenrechte gibt, auch über Vertreibung nachdenken kann“, wie Bensmann vor einem Jahr in einem Interview erklärte? Wohl kaum.
Was erhofft die AfD sich von der multipolaren Weltordnung?
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